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Die Historie der Narrhalla Fastnachts-Possen


Spätestens seit 1968 ist sie eine Institution im Kulturleben der Stadt Worms – Narrhallas Fastnachtsposse. 24 Stücke hat der Traditionsverein seit dieser Zeit auf die Bühne des Städtischen Spiel- und Festhauses gebracht. Tausende von Wormserinnen und Wormser haben sich an den fiktiven Geschichten in und um ihre Heimatstadt köstlich amüsiert.

Es war in jeder Hinsicht ein Wagnis, das die Wormser Narrhalla von 1840 e.V. kurz nach der Einweihung des neuen Städtischen Spiel- und Festhauses einging, als man die Idee von Ilse und Rolf Bindseil umzusetzen begann. Für das Theater begeisterte Ehepaar stand gleich nach der Eröffnung des neuen Wormser Musentempels fest, wenn es schon kein eigenes Wormser Theaterensemble geben kann, so soll es doch wenigstens ein von Wormsern dargestelltes und in Worms handelndes Stück für die Wormser geben.

Ilse Bindseil nannte ihre erste Mundartposse beziehungsreich „Nor nit schenne“. Ihr Ehemann Rolf übernahm Regie und die noch zeitaufwendigere Koordination der Produktion im Hintergrund. Ein kongeniales Paar, das nicht nur für die Wormser Fastnacht zum absoluten Glücksfall wurde.

„Nor nit schenne“ gab wahrlich keinen Anlass zum Schimpfen. Die Kritiken fielen durch die Bank weg positiv aus. Die Wiederaufnahme der narrhallesischen Possetradition war geglückt. Und die Narrhalla kann wahrlich auf eine lange Possetradition zurückblicken.

Possetradition seit 1841


Bereits in den allerersten Jahren nach Gründung des Vereins wurden Possen aufgeführt. Die Titel („Der furiose Concert zu Krähwinkel“, „Die verunglückte Brautschau“ und „Der geprellte Vormund“) sind als Titel im Narrhalla Archiv zwar vermerkt, doch über die Autoren dieser Volksstücke ist im ansonsten wirklich umfangreichen Archiv leider nichts zu finden. Nach diesen ersten Possen in den 40iger Jahren des 19. Jahrhunderts dauerte es über 80 Jahre, bis sich Konrad „Kunrädche“ Fischer aus Anlaß des neunzigsten Geburtstags des Vereins im Jahre 1930 als Autor und Regisseur an eine Revue-Posse wagte. Und auch in dieser Endphase der Weimarer Republik lechzten die Wormser nach der Narrhalla Posse. Sage und schreibe viermal 1200 Besucher kamen in den Festhaus-Saal um neben vielen anderen Jean Völker „Kabausche“ in der Rolle des Fremdenführers zu sehen.

 Ganz offensichtlich hatte Kabausche - wer sagte schon Jean Völker zu ihm - an dieser Art der Fastnacht Geschmack gefunden. Denn 1936 präsentierte die Narrhalla die Posse „Es Stambese feiern Fastnacht“. Autor, Regisseur und Hauptrolle – klar, der Wormser Urfastnachter Jean Völker „Kabausche“. Noch zwei weitere Possen ließ der Erfinder der Narrhalla Traditionsfigur „Der Wormser Star“ in den Jahren 1937 (Hausball ins Stambese) und 1948 (Tante Dolly) folgen. 

Die für lange Zeit vorläufig letzte Posse schrieb der Narrhalla Büttenredner Dr. Hans Dietert. Sie wurde 1950 unter dem Titel „Das Herz auf dem rechten Fleck“ in Zusammenarbeit mit dem Wormser Stadttheater aufgeführt. Sieben Aufführungen erheiterten und unterhielten die Wormser in den Zeiten des Wiederaufbaus.

Trotz des großen Erfolgs folgten dann 18 lange, Posse freie Jahre. Nicht weil die Wormser keinen Gefallen mehr an dem bunten und heiteren Fastnachtsspiel gefunden hätten. Nein, um solch eine aufwendige Theaterproduktion innerhalb eines Vereins auf die Beine zu stellen, braucht es unzählig viele fleißige Helfer, die sehr viel Zeit in ihr Hobby investieren können. In den fünfziger Jahren waren aber nicht nur die Wormser hauptsächlich damit beschäftigt, die Spuren des Krieges verschwinden zu lassen und die Folgen der Naziherrschaft zu bewältigen. Da blieb auch für äußerst engagierte Narren nur Zeit, das „normale“ närrische Fastnachtsprogramm mit Damensitzung, Maskenbällen und Straßenfastnacht auf gewohnten Narrhalla-Niveau zu bewältigen.
 

Ein kongeniales Paar: Ilse und Rolf Bindseil


Ilse und Rolf Bindseil verbissen sich in einer Zeit, in der auch Worms aus dem Gröbsten raus war, in die Idee, die Posse-Tradition wieder aufleben zu lassen. Und es war ihr Glück – oder besser, es war ein großes Glück für Worms, dass sie Mitstreiter und Weggefährten fanden, die diese schwere Aufgabe mit stemmten.

Zuerst muß hier natürlich das Künstler-Ehepaar Rosemarie und Gerhard Pallasch genannt werden. Sie waren es, die mit ihren einmalig schönen Bühnenbildern den Wormser ihr Worms auf neue Art und Weise zeigten. Unvergessen die Posseszenen vor der Bergkirche, auf dem Ludwigsplatz, dem Obermarkt, dem Marktplatz, vor dem Amtsgericht – die Reihe ließe sich schier endlos fortsetzen.

Nicht unerwähnt darf in diesem Zusammenhang bleiben, dass auch die tolle und kompetente Zusammenarbeit mit dem Festhauspersonal zu der Erfolgsstory entscheidend mit beigetragen hat.



Possestar Nummer 1: Helga Pauer

Posse schreiben, Possen inszenieren, Posse malen, Posse bauen, so weit, so gut. Und Posse spielen? Na klar! Ein Name, ein Begriff, eine Institution – Helga Pauer. Es war von Anfang an Helga Pauer, die den Possen das Wormser Leben eingehaucht hat. Niemand verkörpert wie sie die hiesige Lebensart und Lebenslust. Das Herz am rechten Fleck, mit einem einmaligen Mutterwitz ausgezeichnet und einer „Babbelschnut“, die für die Theaterbühne einfach geschaffen ist. Helga Pauer hat in den ersten 21 Possestücken seit 1968 die Hauptrolle gespielt. Es dauerte nicht lange, bis ihr das Wormser Publikum voller Ehrfurcht und Anerkennung den Beinamen „die Heidi Kabel von Worms“ gab. Egal ob Wohnungsmieterin oder Hausvermieterin, ob Kassiererin oder Weinguts-Chefin, als Ehefrau, Mutter oder Oma, Helga Pauer brillierte in allen Rollen und überzeugte ihr Publikum von der ersten Reihe bis hinauf zur Empore.

Von der Euphorie der ersten Posse gepackt folgte gleich ein Jahr später „De Seldefrehlich“. Statt vier mußten, nein durften nun schon fünf Aufführungen gespielt werden. Das Publikum war wiederum restlos begeistert. Doch die Aktiven, allen voran natürlich Rolf Bindseil, merkten, dass eine jährliche Posseproduktion die Kräfte der Narrhalla-Mannschaft übersteigen würde. So folgten 30 Jahre lang fast immer im zwei Jahresrhythmus weitere 16 Possen aus der Feder von Ilse Bindseil und unter der Gesamtleitung von ihrem Ehemann Rolf. Aus den vier Vorstellungen zu Beginn brachte es die Posse-Truppe bis auf elf ausverkaufte Vorstellungen im Städtischen Spiel- und Festhaus – und da wurde sogar noch die Generalprobe mit Publikum versehen, um die Zahl der enttäuschten Nichtkartenbesitzer in Grenzen zu halten.

Die letzte Bindseil-Posse im Jahr 2000 unter dem Titel „Dehääm is dehääm“ war folgerichtig ein Rückblick auf das zu Ende gehende Jahrhundert. Es war aber wohl auch ein Rückblick zweier Menschen, die wußten, dass es ihre letzte gemeinsame große Arbeit für die Fastnacht, für die Narrhalla, für Worms werden würde. Wenige Monate nach dem letzten Vorhang auf der Festhausbühne fiel auch der letzte Vorhang für Rolf Bindseil, der seine schwere Krankheit auch während der harten Probenzeit mit unendlicher Disziplin und Demut ertrug. Und auch Ilse Bindseil war zu dieser Zeit schon viel kränker als es wohl alle wahrhaben wollten.

Seit 2003 führt Matthias Matheis das Posseteam an  

 
Sollte damit die Posse Tradition der Narrhalla ein Ende gefunden haben? Es ist wahrlich einer der größten Verdienste von Ilse und Rolf Bindseil, dass sie es verstanden haben, ein verstärktes Interesse am Theater an sich bei den Wormsern und auch bei den Mitspielern zu wecken. Einer der sich besonders inspirieren ließ und auch den beiden oft und gerne über die Schulter schaute war Matthias Matheis. Seit 1986 hatte er in acht Possen mitspielen dürfen und konnte auch im kleinen Theater der Volksbühne Worms Erfahrung sammeln. Er nahm all seinen Mut zusammen und versuchte in Bindseils Fußstapfen zu treten und so die Posse Tradition weiterleben zu lassen. „G’sucht unn gefunne“ hieß 2003 sein Erstlingswerk. Und offensichtlich hatte auch er den Humor der Wormser getroffen. Die Presse schrieb überzeugt, dass das neue Team um Autor und Regisseur Matheis die Feuertaufe bestanden habe.

Doch so neu war das Team gar nicht. Die Posse Schauspielerriege wurde glücklicherweise wieder angeführt von Helga Pauer, das Bühnenbild wurde von Rosemarie Pallasch gemalt, für den Kulissenbau und die Technik waren Paul Lott und seine fleißigen Helfer verantwortlich und das Wormser Publikum dankte es allen mit langem und ehrlichem Applaus. Drei Jahre später folgte mit „Wann’s laaft, laaft’s!“ der zweite Streich aus der Feder von Matthias Matheis, bevor die Narrhalla mit dem Stück „Mach kää Theater!“ dem Festhaus selbst als Heimat der Fastnachtspossen eine eigenes Bühnenwerk als Hommage widmete. Nach den umfangreichen Umbau- und Sanierungsarbeiten im Festhaus und der daraus resultierenden vierjährigen Possezwangspause, folgten die Stücke „Geh fort, geh hääm!“ (2011) und „Schneiden Eich Quetschekuche ab“ (2013).

Für das Jubiläumsjahr 2015 brachten die Narrhallesen wieder eine besondere Posse auf die Festhaus-Bühne: Unter dem Titel „Rache is Blutworscht“ wurde eine moderne und Wormser Adaption des Lustspiels „Le Réveillon“, das auch schon Vorlage für die Johann Strauss Operette „Die Fledermaus“ war, im Theater gegeben. Das Publikum war auch dieses Mal wieder begeistert und spendete den Akteuren stehende Ovationen.

„Rache is Blutworscht!“ begeisterte 2015 im Wormser


Wie schafft es ein Verein von der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts bis zu Beginn des 21. Jahrhunderts, in einer Zeit mit all den Kriegen, technischen Fortschritten und modischen Veränderungen, eine jeweils so umfangreiche und zeitaufwendige Produktion und Darstellungsform aufrecht zu erhalten und immer mit neuem Leben zu füllen? „Es ist die Freude am Spiel, am Theaterspiel“, ist Matheis überzeugt. „Und die Nähe zu unserer Heimatstadt Worms“! Jeder der Mitspieler fiebert dem ersten Possetreffen entgegen. Jeder will als Erster das Rollen- und Textbuch in den Händen halten. Und jeder freut sich, wenn er vor Publikum die kleinen Macken seiner Nachbarn und Freunde ausleben darf. „Doch an allererster Stelle steht das Team“, sagt Matheis. „Jeder für jeden und alle für einen. Bei der letzten Produktion war das ein Team von gut 60 Leuten. Und da ist jeder gleich wichtig und gleich geachtet. Es ist eine große, lange Kette, bei der kein Glied fehlen darf. Ohne dies ist eine solch aufwendige Produktion überhaupt nicht denkbar.“